Des Waldes Seele (Gedicht)

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Des Waldes Seele ist ein Gedicht von Karl May.

Text[Bearbeiten]

          Des Waldes Seele.
Es war im Wald. Die Bäume alle schliefen;
  Der Mond belauschte lächelnd ihren Traum.
Die Schatten lagen ruhig in den Tiefen;
  Die Welle küßte still des Weihers Saum.
Da kam ein linder, milder Hauch gezogen,
  Des Träumenden gewürzger Athemzug,
Der in des Maienduftes zarten Wogen
  Des Waldes Seele auf zum Himmel trug.
Dort schwebte sie zur ewgen Gnadenquelle,
  Vor der die Bitte um das Leben kniet,
Und wie vom Vöglein an der Waldkapelle
  Erklang ein sanftes, frommes Klagelied:
"Es preisen dich des Firmamentes Heere,
  Auf deren Licht dein Ruhm herniederschallt.
Von ihm erfüllt sind alle Weltenmeere;
  Im Thau und Regen trinkt ihn auch der Wald.
"Von da soll er aus tausend Quellen fließen,
  Dem Erdenland zum Heil und Segen sein,
In alle Flüsse, Ströme sich ergießen
  Und dich verkünden, Vater, dich allein.
"Doch schau hinab! Die Menschen, die du segnest,
  Begreifen deine Gottesweisheit nicht.
Die Liebe, die du ihnen niederregnest,
  Wird ihrem Unverstand zum Strafgericht.
"Sie haben weder dich, o Herr, verstanden,
  Nach deines freundlichsten Gesetzes Sinn;
Drum handeln sie, als sei ich nicht vorhanden,
  Obgleich ich ihnen unentbehrlich bin.
"Laß mich nicht sterben, laß mich nicht verschmachten,
  Sonst ists auch um ihr eignes Heil geschehn.
Lehr sie, den Wald mit Liebe zu betrachten,
  Damit sie endlich seine Seele sehn!"
Sie schwieg und senkte wartend ihren Schleier;
  Der Traum entfloh; es war die Nacht vorbei.
Die Erde lag in stiller Morgenfeier;
  Ein Glöcklein kündete, daß Sabbath sei.
Der Wald erwachte, und der Vöglein Lieder
  Erklangen jubelnd über Berg und Thal.
Die Seele kehrte aus dem Himmel wieder,
  Getragen von dem ersten Sonnenstrahl.
Sie tauchte in des Weihers klare Welle
  Und stieg sodann ans thauesfrische Land,
Empfangen von dem Kehlchen der Kapelle,
  Bei dem sie nun des Vaters Antwort fand:
"Ich ließ für dich das Sabbathglöcklein lauten:
  Es läutete den Waldesfrieden ein.
Das hat für dich Erhörung zu bedeuten;
  Du sollst fortan dem Menschen heilig sein.
"Er wird nun deine Sänger nicht nur hören;
  Er wird das, was sie singen, auch verstehn:
"Hör auf, hör auf, die Wälder zu zerstören,
  Sonst wirst mit ihnen du auch untergehn!""[1]

Textgeschichte[Bearbeiten]

Himmelsgedanken.[Bearbeiten]

Am 18. Dezember 1900 erschien ein Gedichtband Mays mit dem Titel Himmelsgedanken im Verlag Friedrich Ernst Fehsenfeld.[2] In dieser Ausgabe ist das Gedicht auf den Seiten 258 bis 261 enthalten. Der auf der folgenden Seite abgedruckte Aphorismus lautet:

Wie der Untergang der Sonne für den Westen der Erde ihren Aufgang bringt, so bedeutet der Tod für eine andere Himmelsgegend eine Geburt.[3]

Der dankbare Leser[Bearbeiten]

Am 13. Januar 1902 wurde Karl Mays Streitschrift "Karl May als Erzieher" und "Die Wahrheit über Karl May" oder Die Gegner Karl Mays in ihrem eigenen Lichte von einem dankbaren May-Leser anonym im Verlag Friedrich Ernst Fehsenfeld veröffentlicht.[4] In diesem Buch findet sich eine Sammlung von Leserbriefen, von denen einer (Nr. 28) die Himmelsgedanken zum Thema hat. Er lautet:

"Lieber Karl May!
Verzeihen Sie verehrter Herr, diese Anrede, die mir eigentlich nicht zukommt; aber den Verfasser eines Buches wie der "Himmelsgedanken" kann man nur mit diesem Worte anreden – – lieb! Ich habe soeben in stiller Abendstunde Ihr herrliches Buch ausgelesen, und ich muß gestehen, ich bin tief ergriffen von dem Inhalte, von der tiefen Gottesgemeinschaft, die uns aus allen Gedichten erklärend entgegentritt. Es ist mir heiliger Ernst mit diesen meinen Worten, mögen vielleicht auch viele Leute den Kopf über den Gedanken Mays geschüttelt haben, einen Band Gedichte herauszugeben, Gedichte besonders diesen Inhalts, dieses, ich möchte sagen, seelenvollen Inhaltes und Reichthumes.
Selten bin ich so ergriffen worden wie von dem herrlichen "Wo sind die Deinen"; selten hats mich mächtiger gepackt als bei dem Gedicht "Ich saß im lieben, trauten Stübchen" oder bei dem "An die Mutter" überschriebenen; selten habe ich etwas tiefer Empfundenes gelesen als "Großmütterchen" oder "Des Waldes Seele!" Oder – – indessen, wenn ich so fortfahren wollte, würde ich am Ende dahin gelangt sein, die Gedichte allmählig alle angeführt zu haben. Aber weß das Herz voll ist, deß geht der Mund über, und doch möchte ich Ihnen weiter nichts sagen, – ich wohl einer von so vielen Tausenden, die Aehnliches gefühlt haben – als den Dank für die herrliche Gabe, die Sie, verehrter Herr, der Menschheit zu ihrem schönsten Feste unter den Weihnachtsbaum gelegt haben und die hoffentlich recht bald ein dauerndes Besitzthum des ganzen deutschen Volkes sein wird...."
Dr. phil. W. W.[5]

aktuelle Ausgaben[Bearbeiten]

  • Karl May: Himmelsgedanken. Gedichte. Union Verlag Berlin [Ost] 1988, S. 130–132. ISBN 3-372-00103-6 [Neusatz]
  • Karl May: Himmelsgedanken. In: Karl May: Lichte Höhen. Lyrik und Drama. Karl-May-Verlag BambergRadebeul 1998, S. 187–190. ISBN 3-7802-0049-X [modernisierter Neusatz]
  • Karl May: Himmelsgedanken. Gedichte. Books on Demand GmbH Norderstedt 2005, S. 258–261. ISBN 3-8334-2518-0 [Reprint]

Anmerkungen[Bearbeiten]

  1. Karl May: Himmelsgedanken, S. 258–261. In der ersten Buchausgabe lautet der Titel Das Waldes Seele.
  2. Hainer Plaul/Gerhard Klußmeier: Illustrierte Karl-May-Bibliographie, S. 244.
  3. Karl May: Himmelsgedanken, S. 262.
  4. Hainer Plaul/Gerhard Klußmeier: Illustrierte Karl-May-Bibliographie, S. 254.
  5. Karl May: "Karl May als Erzieher" und "Die Wahrheit über Karl May" oder Die Gegner Karl Mays in ihrem eigenen Lichte von einem dankbaren May-Leser. Verlag Friedrich Ernst Fehsenfeld Freiburg i. B. 1902, S. 83 f. (Onlinefassung) Auch in: Karl May: Meine dankbaren Leser. Karl-May-Verlag Bamberg-Radebeul 2005, S. 96.

Literatur[Bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten]