Signalement

Aus Karl-May-Wiki
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Will ich in der Schilderung meiner Leiden fortfahren, so komme ich jetzt zu einer Gattung von Briefen, über welche ich eigentlich ein noch tieferes Schweigen beobachten sollte, als dieser Musensohn von mir verlangte; da dieses Genre aber nicht uninteressant ist und ich keine Namen nenne, so glaube ich keine unverzeihliche Indiskretion zu begehen, wenn ich in halblautem Tone sage, daß die Verfasser dieser Briefe meist Verfasserinnen sind. Diese Verfasser scheinen als Damen die Eigentümlichkeit zu haben, mich für jünger zu halten, als ich bin und sich für meine Person ebenso sehr wie für meine Bücher zu interessieren.
"Wie ist die Farbe Ihrer Haare und Ihres Bartes? Was tragen Sie überhaupt für einen Bart? Welche Augen haben Sie? Singen Sie Tenor, Bariton oder Baß? Von welcher Gestalt sind Sie? Wieviel Kilo wiegen Sie? Rauchen Sie? Spielen Sie Billard, Schach, Skat? Sind Sie musikalisch? Welches ist Ihr Lieblingstanz? Wie gehen Sie am liebsten gekleidet, dunkel oder hell? Welches ist Ihre Leibspeise, Ihr Leibgetränk? Was ziehen Sie vor, die Oper oder das Drama? Schlafen Sie lange? Welcher Klasse fahren Sie?"
So lauten einige der vielen Fragen, welche man mir vorlegt. Ich beantworte sie:
"Ich trage Schnurrbart und Fliege; beide waren, wie auch das Kopfhaar, sehr dunkelblond; jetzt beginnt eine zwar ehrwürdige, mir aber "gräuliche" Färbung überhand zu nehmen, denn ich zähle 54 Jahre, sehe aber 10 Jahre jünger aus. Meine Augen sind graublau. Ich singe ersten und auch zweiten Baß, je nachdem, wohin mich der Herr Direktor stellt. Meine Gestalt ist schlank, sehnig; ich bin 166 Centimeter hoch und wiege 75 Kilogramm. Ich rauche gern und spiele alles, finde aber keinen Genuß dabei. Ich bin musikalisch und geige, blase und streiche die meisten Instrumente, keines aber mir zur Genüge. Ich tanze alle Tänze, doch nur, wenn ich muß; lieber bin ich Mauerblümchen. Dunkelblau ist in Beziehung auf den Anzug meine Lieblingsfarbe. Frack und Chapeau claque können mich zur Verzweiflung bringen. Die Handschuhe sind bei mir stets zu finden, nämlich in der Tasche. Den Regenschirm nehme ich bei verdächtigem Wetter zwar mit, lasse ihn aber nicht naß werden. Jetzt liegt er in Regensburg, und ich wohne in Radebeul bei Dresden. Meine Lieblingsspeise ist Brathuhn mit Reis, mein liebstes Getränk Magermilch. Ich komponiere jetzt selbst an einer Oper, stelle aber ein gutes Drama gleich hoch. Ich schlafe sehr wenig und fahre zweiter Klasse."
So, das wird für heute genügen! Es gibt aber noch intimere Fragen, z. B. ob ich verheiratet bin, seit wann, ob glücklich oder unglücklich, ob meine Frau eine Indianerin, Perserin, Araberin oder Türkin ist u. dgl. m. Da kann ich denn aus vollem Herzen sagen: Ich bin noch nicht lange verheiratet, aber sehr glücklich. Und da ich dies hier öffentlich erklärt habe, so will ich das Paket Briefe, welches ich schon in der Hand hielt, wieder weglegen, denn es enthält – honny soit qui mal y pense – Heiratsanträge, meist ohne Vorwissen der betreffenden Dame von Verwandten oder Vormündern an mich gerichtet.
Ein sehr, sehr wißbegieriger Backfisch in Aachen hat mich auch gefragt, ob ich eine Jugendliebe gehabt habe. O ja, eine recht glühende sogar, nämlich meine gute Großmama. Für sie hat mein ganzes kleines Herz geschlagen und ich bin so eifersüchtig auf sie gewesen wie – wie, nun wie eben der sechsjährige blinde Young Shatterhand auf seine Großmama!

Karl Mays ironische Selbstbeschreibung in Freuden und Leiden eines Vielgelesenen (1896).