Belauschen

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Das Belauschen – meistens, aber nicht immer, von Feinden –, dem oft ein erfolgreiches Anschleichen vorausgeht, ist ein wichtiger Handlungsbestandteil vieler Erzählungen Karl Mays. Hilfreich sind dabei Fremdsprachenkenntnisse des Anschleichenden[1]. Bereits einigen Zeitgenossen fielen diese Handlungsmotive als sehr stereotyp auf[2].

Interpretation

Für Hans Wollschläger ist das übermäßig oft auftauchende Lauschmotiv als psychologische Verarbeitung einer Urszene deutbar, bei dem das blinde Kind Karl May einen Abschied seiner Mutter von ihrem – außerehelichen – Liebhaber anhören musste:

Ein Kind hatte gelauscht, einmal vor langer Zeit, wankend, torkelnd, irr laufend im Morgengrauen, an einer Mauer, weinend, - und eine ganze Welt war schuldig geworden. Von dieser Zeit an mußte May lauschen, um das Unrecht in aller Welt zu erfahren, ja er mußte dies Lauschen, von dem das Sprichwort sagt, daß es dem Ohr nur »die eigene Schand« zutrage, zu einer hohen Kunst und Tugend machen[…][3]

In der Pollmer-Studie beschrieb Karl May einige seiner Lauschangriffe auf Emma May und deren Freundinnen[4]. Gabriele Wolff, die dies als den traurigsten Teil der Studie bewertet[5], weist darauf hin, dass das Lauschmotiv seiner Erzählungen als Spiegelung von Mays Passivität im realen Leben gedeutet werden kann:

May [hat] in seinem Leben sehr oft die passive Beobachterrolle übernommen, diese vor sich selbst aber als aktives wissenschaftliches Studium der menschlichen Seele legitimiert […]. Hierfür ist die ›Studie‹ der beste Beweis.[6]

Günter Scholdt weist in einem Abriß über Mays literarische Qualitäten darauf hin, dass Handlungsmuster wie heldische Omnipotenz, Identitätswechsel, immer wiederkehrende Befreiungen oder eben Belauschen letztlich menschlichen Urwünschen entsprächen, die deswegen trotz ihrer ständigen Wiederholung von Lesern akzeptiert werden könnten[7].

Kuriosa

In Winnetou IV, dem letzten Roman Karl Mays, verzichtet der Ich-Erzähler an einer Stelle auf einen Lauschangriff:

Was ich wissen wollte, konnte ich auf direktere und leichtere Weise erfahren, als durch das unbequeme Anschleichen und immerwährende Horchen und Lauschen nach allen Seiten, welches anstrengender ist, als man glaubt.

Scholdt verortet diese Textstelle nahe an der "Grenze zur (unfreiwilligen?) Selbstparodie"[8]. Offenbleiben muss, ob diese Stelle einen Bruch im Bau markiert, da der Ich-Erzähler vor- und nachher einige Lauschangriffe durchführt.

Anmerkungen

  1. vgl. etwa Old-Shatterhand-Legende#Höhepunkt für eine eindrucksvolle Aufzählung
  2. vgl. eine Leserzuschrift der Frankfurter Zeitung vom 17. Juni 1899, wiedergegeben in Hansotto Hatzig: Mamroth gegen May. Der Angriff der "Frankfurter Zeitung", Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft 1974, S. 121-122
  3. Wollschläger, Spaltung, S. 33
  4. Karl May: Frau Pollmer, eine psychologische Studie, S. 910
  5. "weil May dort eine masochistisch anmutende Passivität mühsam in eine positive Energieleistung umwandelt", Wolff, Ermittlungen, S. 91
  6. Wolff, Ermittlungen, S. 12
  7. Günter Scholdt: Karl-May-Forschung und Karl-May-Gesellschaft. In: Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft 1987, S. 281-282. Scholdt glaubt, dass Karl May diese Wünsche intensiver empfindet und artikuliert als andere, was ihn zum "literarischen Medium" werden lasse.
  8. Günter Scholdt: Vom armen alten May. Bemerkungen zu "Winnetou IV" und der psychischen Verfassung seines Autors. In: Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft 1985, S. 107

Literatur