Karl Mays Blindheit

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Karl Mays Brille
Karl Mays Sonnenbrille

In seiner Autobiografie Mein Leben und Streben berichtet Karl May, dass er bald nach seiner Geburt erblindet und erst nach vier Jahren durch eine Behandlung geheilt worden sei. Schuld daran seien die äußerlichen Verhältnisse seiner Kindheit gewesen: extreme Not, Armut, Elend. Implizit wehrt sich May damit auch gegen Rudolf Lebius' Behauptung, er sei erblich bedingt "minderwertig", ein "geborener Verbrecher".

Mays Angaben über seine frühkindliche Erblindung wurden lange Zeit nicht angezweifelt.

Erst als Johannes Zeilinger 1999 erklärte, dass Mays Krankengeschichte nicht nachvollziehbar sei und er eine frühkindliche Blindheit vom ärztlichen Standpunkt her ausschließe, brach eine heftige Diskussion los, die nicht nur von Medizinern geführt wird.

Im Folgenden ein Überblick über Zeugnisse und Statements:

Ungefähre Zeittafel nach Mein Leben und Streben

1842

geboren am 25. Februar

Ich war weder blind geboren noch mit irgendeinem vererbten körperlichen Fehler behaftet.
1843

im Alter von 12 Monaten

(Hungersnot in Hohenstein und Ernstthal)

Daß ich kurz nach der Geburt sehr schwer erkrankte

1844

mit zwei Jahren

das Augenlicht verlor und volle vier Jahre siechte
1845

mit drei Jahren

Ich sah nichts ... Ich konnte die Personen und Gegenstände wohl fühlen, hören, auch riechen
1846

mit vier Jahren

[Meine Mutter] war aufgefordert worden, mich nach Dresden zu bringen ... Das geschah nun jetzt ... Ich lernte sehen und kehrte, auch im übrigen gesundend, heim.

Zeugnisse von May und Zeitzeugen

Selbstzeugnisse

Mein Leben und Streben

Die Chirurgisch-Medizinische Akademie in Dresden
  • Das geschah in der Zeit, als ich nicht mehr blind war und schon laufen konnte...
  • Ich war weder blind geboren noch mit irgend einem vererbten körperlichen Fehler behaftet. Vater und Mutter waren durchaus kräftige, gesunde Naturen. Sie sind bis zu ihrem Tode niemals krank gewesen. Mich atavistischer Schwachheiten zu zeihen, ist eine Böswilligkeit, die ich mir unbedingt verbitten muß. Daß ich kurz nach der Geburt sehr schwer erkrankte, das Augenlicht verlor und volle vier Jahre siechte, war nicht eine Folge der Vererbung, sondern der rein örtlichen Verhältnisse, der Armut, des Unverstandes und der verderblichen Medikasterei, der ich zum Opfer fiel. Sobald ich in die Hand eines tüchtigen Arztes kam, kehrte mir das Augenlicht wieder, und ich wurde ein höchst kräftiger und widerstandsfähiger Junge, der stark genug war, es mit jedem andern aufzunehmen.[1]
  • In meiner Erinnerung tritt zuerst nicht das Märchen von Sitara, sondern das Märchen "von der verloren gegangenen und vergessenen Menschenseele" auf. Sie tat mir so unendlich leid, diese Seele. Ich habe mit meinen blinden, lichtlosen Kindesaugen um sie geweint.[2]
  • [Mays Mutter hatte im Laufe ihrer Ausbildung zur Hebamme] das Wohlwollen der beiden Professoren Grenzer und Haase erworben und ihnen von mir, ihrem elenden, erblindeten und seelisch doch so regsamen Knaben erzählt. Sie war aufgefordert worden, mich nach Dresden zu bringen, um von den beiden Herren behandelt zu werden. Das geschah nun jetzt, und zwar mit ganz überraschendem Erfolge. Ich lernte sehen und kehrte, auch im übrigen gesundend, heim.[3]
  • Ich sah nichts. Es gab für mich weder Gestalten noch Formen, noch Farben, weder Orte noch Ortsveränderungen. Ich konnte die Personen und Gegenstände wohl fühlen, hören, auch riechen; aber das genügte nicht, sie mir wahr und plastisch darzustellen. Ich konnte sie mir nur denken. Wie ein Mensch, ein Hund, ein Tisch aussieht, das wußte ich nicht; ich konnte mir nur innerlich ein Bild davon machen, und dieses Bild war seelisch. Wenn jemand sprach, hörte ich nicht seinen Körper, sondern seine Seele. Nicht sein Aeußeres, sondern sein Inneres trat mir näher. Es gab für mich nur Seelen, nichts als Seelen. Und so ist es geblieben, auch als ich sehen gelernt hatte, von Jugend an bis auf den heutigen Tag.[4]

Brief vom 20. März 1897 an Unbekannt

Aus dem ersten Bande [der Surehand-Trilogie] werden Sie ersehen, daß auch ich blind gewesen bin und also sehr wohl weiß, welche herrliche Gottesgabe den lieben Zöglingen Ihrer Anstalt versagt worden ist...[5]

Empor ins Reich der Edelmenschen!

Aus Presseberichten geht hervor, dass Karl May in seinem Vortrag Empor ins Reich der Edelmenschen! in Wien am 22. März 1912 mitteilte:

Als ich ein kleiner Knabe war, war ich blind; erst später habe ich das Augenlicht wieder gewonnen. Damals als Blinder wurde ich von meiner alten Großmutter betreut...[6]

Literarische Zeugnisse von May

In Old Surehand I schreibt der Ich-Erzähler Old Shatterhand:

Ich bin dreimal blind gewesen und mußte dreimal operiert werden. Hatte ich das verdient?[7]

Zeugnisse von Zeitgenossen

Nachfolgende Zitate stammen nicht von May persönlich, beruhen aber auf Angaben von May – möglicherweise vom jeweiligen Verfasser ausgeschmückt, interpretiert, falsch verstanden, z.T. wohl auch durch May in Szene gesetzt.

Ernst Abel

Diese Äußerung wurde während Karl Mays Renommierphase getätigt.

  • Bis zu seinem fünften Jahre war er blind, nachdem er erst im Alter von 6 Jahren stehen und gehen konnte.[8]

Marie Hannes

  • Der kleine Karl nun war ein äußerst schwächliches Kind – fast gelähmt – sehr augenkrank – kurz – kaum lebensfähig.[9]
  • In Allerlei von Karl May gab Marie Hannes einige Legenden wieder, die May ihr 1897 selbst erzählt habe: Der kleine, "halbblinde" Knabe war in einen Kutschenunfall verwickelt und vom Verursacher, einem österreichischen Edelmann, umsorgt worden. Dieser ließ den Kranken in die Stadt – in ein gutes Krankenhaus bringen, wo er ausgezeichnet aufgehoben war. Er machte dort auch eine Augenoperation durch und zwar mit bestem Erfolge und verließ das Hospital völlig gesund und kräftig...[10]

Max Dittrich

  • May ist als Kind blind gewesen, ein schwacher, beinahe elender Knabe bis ins sechste Jahr. Dann trat ein Umschwung ein in das grade Gegenteil, fast wie ein Wunder.[11]

Heinrich Wagner

Diese Version stammt wohl nicht von May:

  • Der Knabe kam blind zur Welt und war ein ungemein schwächliches Kind.[12]

Aussagen in der Sekundärliteratur (Diagnosen späterer Forscher)

Werner Raddatz

Werner Raddatz erwähnt die Möglichkeit, dass die Blindheit Karl Mays auf Alkoholismus seines Vaters zurückzuführen sein könnte.[13]

Hans Wollschläger

Hans Wollschläger nannte "Ophthalmia pustularis", eine perinatale Augeninfektion, als den Grund für Karl Mays Erblindung in der Kindheit.[14]

William E. Thomas

William E. Thomas diskutiert das Thema sehr ausführlich und stellt mehrere mögliche Ursachen vor bzw. setzt sich kritisch Diagnosen/Schlussfolgerungen anderer Autoren auseinander. Er schließt mit der Feststellung:

  • Vitamin-A-Mangel mit daraus resultierender Xerophthalmie scheint die annehmbarste Erklärung für Karl Mays Blindheit im Alter von fünf Jahren zu sein.[15]
  • Unter Berücksichtigung und dem Ausschluß von anderen Möglichkeiten scheint es nur eine Schlußfolgerung zu geben: Karl May litt als Kind an Vitamin-A- und -D-Mangel.[16]

Johannes Zeilinger

Johannes Zeilinger ging in seiner Dissertation 1999 davon aus, dass eine "echte" Erblindung Mays auch nach einer Heilung die Sehkraft dauerhaft beeinträchtigt hätte, so dass man dies an den erhaltenen Brillen hätte erkennen müssen. Er kommt nach Untersuchung der Brillen zu dem Schluss:

  • So geben also auch die erhaltenen Brillen Mays keinen Hinweis auf eine operativ geheilte frühkindliche Blindheit, mehr noch, sie verweisen sie ebenfalls ins Reich der Legende.[17]
  • So ist in doppelter Hinsicht die Blindheitsepisode des jungen May eine ophthalmologische Unmöglichkeit [...] so muß auch die autobiographische Schilderung der frühkindlichen Blindheit und deren wundersame Heilung als nachträgliche Heroisierung oder gar Allegorisierung verstanden werden.[18]

2001 relativiert er etwas:

  • Es gibt keinen Grund, die frühkindliche Erkrankung Mays anzuzweifeln, und es ist durchaus wahrscheinlich, dass sie mit einer Augenerkrankung einherging. Die wenigen erhaltenen Hinweise allerdings sind zu spärlich, um hieraus eine auch nur halbwegs gesicherte Diagnose ziehen zu wollen...[19]

Ralf Harder

Ralf Harder verfasste bereits in den 1980er Jahren einen Aufsatz Die Erblindung – eine entscheidende Phase im Leben Karl Mays, der erstmals in M-KMG Nr. 68 erschien. Für die Internetseiten der Karl-May-Stiftung wurde dieser Text als Erwiderung auf die Dissertation Johannes Zeilingers überarbeitet und erweitert.

Im Großen und Ganzen trägt er die bekannten Zitate zusammen, ergänzt durch zeitgenössische Statistiken (u.a. zur Hungersnot und zum Krankenstand) und ergänzt den medizinischen Aufsatz William E. Thomas' um historische Fakten und Zitate.

Christina Alscher

  • Zusammendfassend kann man feststellen, dass Karl May keineswegs blind im Sinne der heutigen Definition von Blindheit [...] gewesen sein kann. [...] Will man der Behauptung Mays betreffend seiner Blindheit in den ersten Lebensjahren Glauben schenken, so kann es sich nur um Phasen eingeschränkter Sehfähigkeit beziehungsweise "funktioneller Blindheit" im oben genannten Sinne handeln.[20]

Karl-May-Chronik

  • Vermutlich aufgrund mangelnder Körperhygiene und unzureichende Versorgung mit Vitamin A als Folge einer anhaltenden Dürre erblindet das Kind. Mays frühkindliche Blindheit, zu der es außer seinen eigenen Angaben keine Nachweise gibt wird angezweifelt; zumindest eine Augeninfektion oder Xerophthalmie ist jedoch wahrscheinlich...[21]
  • Eine ständige Bedrohung im Leben des blinden oder zumindest sehbehinderten Jungen entfällt damit.[22]
  • wird Karl [nach eigener späteren Aussage] von seiner Augenkrankheit geheilt[23]

Karl Mays Brille

Egal wie groß die Einschränkung in der Kindheit tatsächlich war, scheint sie keine dauerhaften, schwerwiegenden Folgen gehabt zu haben. Auf den überlieferten Fotos trägt May manchmal eine Brille und manchmal nicht. Wenn er eine trägt, so hat sie offenbar keine dicken Gläser. Es gibt erhaltene Korrekturgläser im Karl-May-Museum in Radebeul, die vermutlich von Karl May verwendet wurden. Diese Gläser waren einer Person verschrieben worden, die leicht kurzsichtig und astigmatisch war, mehr auf dem rechten Auge als auf dem linken.

Anmerkungen

  1. Mein Leben und Streben, S. 16.
  2. Mein Leben und Streben, S. 30.
  3. Mein Leben und Streben, S. 20.
  4. Mein Leben und Streben, S. 31.
  5. Karl-May-Chronik II, S. 18.
  6. Rekonstruktion des Vortrags aus zeitgenössischen Pressebereichte. Zitiert nach Ekkehard Bartsch: Karl Mays Wiener Rede. Eine Dokumentation. In: JbKMG 1970, S. 79.
  7. Old Surehand I, S. 412.
  8. Ernst Abel: Erinnerungen an Karl May, 1897.
  9. Marie Hannes, um 1902 (?).
  10. Marie Hannes: Allerlei von Karl May.
  11. Max Dittrich: Karl May und seine Schriften, 1904, S. 30.
  12. Heinrich Wagner: Karl May und seine Werke, 1906.
  13. Werner Raddatz: Das abenteuerliche Leben Karl Mays. Sigbert Mohn Verlag 1968, S. 13.
  14. Hans Wollschläger: Die sogenannte Spaltung des menschlichen Innern, ein Bild der Menschheitsspaltung überhaupt. In: Jb-KMG 1972, S. 25.
  15. William E. Thomas: Karl Mays Blindheit.
  16. William E. Thomas: Karl Mays Blindheit 2.
  17. Johannes Zeilinger: Autor in fabula, S. 15.
  18. Johannes Zeilinger: Autor in fabula, S. 15.
  19. Johannes Zeilinger in M-KMG Nr. 127, S. 22.
  20. Christina Alscher in KMHI Nr. 19, S. 42.
  21. Karl-May-Chronik I, S. 28.
  22. Karl-May-Chronik I, S. 31.
  23. Karl-May-Chronik I, S. 35.

Literatur

  • Christina Alschner: Karl Mays frühkindliches Augenleiden [Augenärztin zur Blindheit von Karl May]. In: Karl-May-Haus Information Nummer 19/2005, S. 38–44.
  • Siegfried Augustin/Rudolf Beissel: Wurzeln und Wege der Phantasie [Karl May, die Blindheit und seine spätere Phantasie]. In: BfV, 21. Jg., Nr. 3 (August 1982), S. 1–4. Graz: Verein der Freunde für Volksliteratur.
  • Joachim Biermann: Gedanken zu einem offenen Brief [über die Blindheitsdiskussion um Karl May]. In: M-KMG Nr. 119/März 1999, S. 64–66.
  • Hans-Jürgen Düsing: Ich bin dreimal blind gewesen. In: M-KMG Nr. 134/Dezember 2002, S. 18–22.
  • R. D. Gerste: Von Dr. Heilig zu Dr. Sternau – die Ophtalmologie im Leben und Werk Karl Mays. In: Zeitschrift für praktische Augenheilkunde & augenärztliche Fortbildung. Nachdruck in Karl May in Leipzig Nr. 68/März 2007.
  • Ralf Harder: Die Erblindung – eine entscheidende Phase im Leben Karl Mays I. In: M-KMG Nr. 68/Mai 1986, S. 35–38. Überarbeitet und erweitert unter: www.karl-may-stiftung.de/blind.html. Teil II in: M-KMG Nr. 124/Juni 2000, S. 16–23. Eine Ergänzung zum Hungersnottext unter www.karl-may-stiftung.de/eversbusch.html. Karl Mays frühkindliche Blindheit – eine Legende?. In: KMG-N Nr. 127/März 2001, S. 28–30.
  • Ralf Harder/Harald Mischnick: Die Hungersnot der 1840er Jahre und ihre Auswirkungen am Beispiel Karl Mays und seiner frühkindlichen Erblindung. In: M-KMG Nr. 127/März 2001, S. 4–12. Im Internet: www.karl-may-stiftung.de/hungersnot.html.
  • Harald Mischnick: "...weder blind geboren...". In: KMG-N Nr. 124/Juni 2000, S. 39–43. Im Internet: www.karl-may-stiftung.de/mischnick.html. "...drei Stockwerke hoch..." Die sogenannte Urszene und die Spaltung des menschlichen Erinnerungsvermögens unter : www.karl-may-stiftung.de/mischnick3.html.
  • Rudi Schweikert: "... und eine Geschichte ist besser, als alles was man sehen kann". Frühe Blindheit: Literatur und Lebensbeschreibung. Zur Selbststilisierung Karl Mays anhand von August Lafontaines Roman "Tinchen, oder die Männerprobe" (mit biographischen Anmerkungen zu Karl May). In: M-KMG Nr. 122/Dezember 1999, S. 20–25.
  • William E. Thomas: Karl Mays Blindheit. In: M-KMG Nr. 119/März 1999, S. 46–50. Fehlerberichtigung in M-KMG Nr. 122/Dezember 1999, S. 11. Im Internet: http://www.karl-may-stiftung.de/blind2.html. Teil 2 in M-KMG Nr. 123/März 2000, S. 5–16. Im Internet: http://www.karl-may-stiftung.de/blind4.html. Eine Antwort auf Johannes Zeilinger. Zum Artikel "In den Schluchten der Diagnostik" in den M-KMG Nr. 122. In: M-KMG Nr. 123, S. 72–74. Karl May aus medizinischer Sicht unter: http://www.karl-may-stiftung.de/thomas.html. Karl May (1842-1912). Body and Mind. Australien: BooksSurge, 2005. 156 S. ISBN 1-921019-19-0
  • Hermann Wohlgschaft: Die Erblindung. In: Große Karl-May-Biographie, Bd. 1, S. 48–56; Das tiefe Sehen, S. 57 f.
  • Johannes Zeilinger: Autor in fabula. Karl Mays Psychopathologie und die Bedeutung der Medizin in seinem Orientzyklus. Med. Dissertation, Leipzig 1999; Hansa Verlag, Husum 2000. In den Schluchten der Diagnostik [Karl Mays Blindheit, letzte Todesursache]. In: M-KMG Nr. 122/Dezember 1999, S. 12–20. Karl Mays frühkindliche Blindheit – eine Legende? In: Jb-KMG 2000, S. 179–194. Erg.: KMG-N Nr. 123/März 2000, S. 40 f.; KMG-N Nr. 124/Juni 2000, S. 39–43. Ist das nicht Gleichnis? Nicht bildlich? Gewiß! Notwendige Klarstellungen zur Blindheitsdiskussion. In: M-KMG Nr. 127/März 2001, S. 13–23.