Die wilde Rose (Gedicht)

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Die wilde Rose ist ein frühes Gedicht von Karl May.

Text

          Die wilde Rose.
Es glänzt der helle Thränenthau
  In Deinem Kelch, dem todesmatten;
Du sehnst Dich nach des Himmels Blau
  Hinaus aus düstrem Waldesschatten.
    Es rauscht der Bach am Felsenspalt
      Sein melancholisch Lied.
    Hier ists so eng, hier ists so kalt,
      Wo nie der Nebel flieht.
Du meine süße Himmelslust,
  O traure nicht und laß das Weinen!
Dir soll ja stets an treuer Brust
  Die Sonne meiner Liebe scheinen.
    Drum schließe Deine Augen zu,
      Worin die Thränen glühn.
    Ja, meine wilde Rose, Du
      Sollst nicht im Wald verblühn!
                                                  Karl May.[1]

Textgeschichte

Das Gedicht Die wilde Rose erschien erstmals im November 1875 in der Rubrik Allerlei der von Karl May redigierten Zeitschrift Schacht und Hütte, Nr. 9, S. 71.

In Karl Mays Kolportageroman Der verlorne Sohn (18841886) ist das Gedicht in der 1. Abtheilung: Die Sclaven der Armuth im 2. Kapitel Das Opfer des Wüstlings zu finden. Es ist hier der Text eines Liedes, das Fanny von Hellenbach singt:

Fanny von Hellenbach zählte achtzehn Jahre und war eine hohe, königliche Erscheinung. Sie trug ein weißseidenes Gesellschaftskleid mit langer, schwerer Schleppe. Als sie daherkam und sich vor dem Fürsten verneigte, war es, als ob sie es sei, die ihm eine Ehre erweise. Trotzdem sie nichts weniger als hager gebaut war, umfloß sie eine Eleganz, eine Zierlichkeit, wie man sie nur bei wirklich vornehmen Damen findet.
Ihr dunkles Haar war nicht sehr lang, aber um so voller, ihre Stirn vielleicht etwas zu hoch und zu breit, aber desto gedankenreicher. Sie war mehr als brünett, und so stachen zwei große hellgraue, wunderbar verständige Augen umsomehr von dem Anderen ab.
Nachdem nun der Fürst die Glieder der Familie kannte, verbat er sich jede weitere Vorstellung. Man mußte ihm willfahren, obgleich Alle vor Begierde brannten, ein Wort aus seinem Munde zu hören. Er aber zog sich in die Nische eines Fensters zurück und schien dort tief in Gedanken versunken zu sein, während er doch Alles scharf und genau beobachtete. Er sah, wie gefeiert die Tochter des Hauses war; er bemerkte, daß man sie nach dem Instrumente nöthigte; sie sträubte sich und mußte endlich nachgeben. Nach einem kurzen Präludium ertönte aus ihrem schönen Munde folgendes Lied:
"Es glänzt der helle Thränenthau [...]"
War der Text, den er bei ihrer ausgezeichneten Aussprache Wort für Wort genau verstehen konnte, schon an sich in Beziehung sowohl auf Gedankeninhalt als auch auf den Ausdruck ein dichterisches Meisterwerk, so fühlte sich der Fürst am Schlusse des Vortrages von der innigen, seelenvollen und doch resoluten Composition tief ergriffen. Fanny von Hellenbach hatte eine tiefe, kräftige Altstimme, welcher aber doch die Wiedergabe contemplativer Gefühle geläufig war. Ihre Stimme war der Vox humana der Orgel ähnlich, wenn sie vollständig rein und ohne jenes Streichen getroffen ist, welches die Viola di Gamba in höherem Maße zu besitzen pflegt.
Sie wies den stürmischen Applaus durch eine Verbeugung von sich ab und zog sich dann nach einem Weilchen in ein Nebenzimmer zurück.[2]

1904 wurde dieses Gedicht (ohne Titel) von Adalbert Fischer in den Sammelband Sonnenstrahlen aus Karl Mays Volksromanen aufgenommen.

aktuelle Ausgaben

  • Karl May (Hrsg.): Schacht und Hütte. Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für Berg-, Hütten- und Maschinenarbeiter. Olms Presse HildesheimNew York 1979, S. 24. ISBN 3-487-08198-9 [Reprint]

Aktuelle Ausgaben des Romans Der verlorne Sohn sind in der Bücherdatenbank zu finden:

Anmerkungen

  1. Schacht und Hütte, S. 71.
  2. Karl May: Der verlorne Sohn. In: Karl Mays Werke, S. 19639–19642 (vgl. KMW-II.19, S. 185–187).

Literatur

Weblinks