Wie jede Rose ihre Dornen trägt (Gedicht)

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Wie jede Rose ihre Dornen trägt ist ein Gedicht von Karl May.

Text[Bearbeiten]

Wie jede Rose ihre Dornen trägt,
  Hat auch die Ehe ihre stillen Leiden.
Die Eine kratzt und beißt; die And're schlägt;
  Die Dritte schmollt; die Vierte spricht vom Scheiden.
Der Fünften brennt der Braten immer an;
  Die Sechste kann den Tabak nicht erriechen;
Die Sieben zankt und keift, daß sich der Mann
  Vor Angst möcht' unter's Kanapee verkriechen.
Die Achte tritt die Schuhe alle schief;
  Der Neunten macht das Scheuern nur Entzücken.
Die Zehnte greift in's Portemonnaie zu tief.
  Die Elf kann keinen Hosenknopf anflicken.
Die Zwölfte leidet an dem bösen Blick;
  Die Dreizehnte zertöppert alle Flaschen;
Die Vierzehnte hat niemals das Geschick,
  Wenn sie 'was beißt, geschwind den Floh zu haschen.
Die Fünfzehnte schnarcht viel zu laut im Schlaf,
  Die Sechzehn macht dem Mann zu viele Lügen,
Die Siebzehn ist ein altes, gutes Schaf,
  Doch heimlich schnupft sie Tabak mit Vergnügen.
Die Achtzehnte ist allen Männern gut,
  Die Neunzehn schnattert gern mit alten Schicksen.
Die Zwanzig braucht stets einen neuen Hut,
  Die Einundzwanzigste will nie die Stiefel wichsen.
Die Dreiundzwanzig putzt den Ofen niemals aus,
  Die Vierundzwanzigste thut sich mit Beersaft schminken,
Die Fünfundzwanzigste guckt gern zum Fenster 'naus,
  Die Sechsundzwanzigste scheint heimlich Schnaps zu trinken,
Die Sieben – – – –
So Eine ist des Mannes größter Schatz,
  Den hält er fest für's ganze Erdenleben.
An seinem Herzen ist ihr schönster Platz,
  Und ihre Liebe ist sein einzig Streben.
Die Barbara wohnt auf der Försterei,
  Die Straße führt ganz nahe dran vorbei;
Sie kocht dem Förster nur Kartoffelbrei
  Und ist auch stets recht wunderlich dabei.[1]

Textgeschichte[Bearbeiten]

In Karl Mays Kolportageroman Der verlorne Sohn (18841886) ist das Gedicht in der 5. Abtheilung: Die Sclaven der Ehre im 2. Kapitel Gottes Strafgericht zu finden. Hier deklamiert es Förster Wunderlich als Toast bei der Hochzeit von Eduard Hauser und Angelica Hofmann:

Es entstand eine Stille, wie in der Kirche. Aller Augen richteten sich auf Wunderlich, und bei diesem Schweigen vernahm man ganz deutlich die Frage seiner Frau:
"Du einen Toast, Alter?"
"Ja," stieß er hervor.
"Na, das wird eine schöne Bescheerung!"
"Ja," lamentirte er halblaut, "es flimmert mir schon vor den Augen. Die Zähne klappern wie bei fünfzig Grad Réaumur. Gott sei mir gnädig."
"Laß es sein!"
"Das geht nicht. Ich habe einmal A gesagt!"
Er hatte recht, denn da er sich nicht gleich erhob, so rief es ringsum:
"Der Förster einen Toast! Vater Wunderlich will reden. Anfangen, anfangen! Wann geht es los?"
Da stand er vom Stuhle auf. Er war blaß wie ein Gestorbener. Er murmelte erst Etwas wie ein Stoßgebet, das ein Ertrinkender noch hervorgurgelt, dann begann er:
  "Wie jede Rose ihre Dornen trägt, [...]
Er wurde unterbrochen. Frau Barbara nämlich holte tief Athem und rief im Tone der Erleichterung:
"Kratzt und beißt! Ah! Also ein Toast Alter?"
"Ja," antwortete er.
"Du warst nicht verrückt?"
"Gott bewahre!"
"Na, dem Himmel sei Lob und Dank! Nun ist Alles gut! Ich hatte jetzt vor dem Toaste Angst; das ist aber vorbei. Rede nur weiter. Wenn Du auch stecken bleibst! Das hat nichts zu sagen. Wir sind ja unter uns!"
Das machte ihm Muth. Er fand auf einmal seine ganze Fassung wieder und fing von vorn an:
  "Also – wie jede Rose ihre Dornen trägt, [...]
"Aha!" fiel die Försterin ein. "Ich dachte, damit wäre ich gemeint, Alter!"
"Unsinn! Unterbrich mich nicht! Ich komme sonst ganz aus der Schnurre!"
"Hat nichts zu sagen! Du fängst von vorne an!"
"Das geht nicht, denn da geht der ganze Eindruck eines so schönen Gedichtes verloren. Also weiter:
  "Der Fünften brennt der Braten immer an; [...]
Da lachte Engelchen, die Braut, laut auf und sagte:
"Also das war es, was ich unterwegs zu hören bekam? Das hilft zum Pantoffelregiment?"
"Ja," lachte auch er, und dann fuhr er fort:
  "Die Zwölfte leidet an dem bösen Blick; [...]
"Na, na, na," warnte lächelnd der Pastor.
"Ach was!" erklang es. "Wir sind ja unter uns. Nur immer weiter!"
Wunderlich fühlte von seiner Seekrankheit nicht das Geringste mehr. Er sprach weiter:
  "Die Fünfzehnte schnarcht viel zu laut im Schlaf, [...]
"Jetzt kommt's! Jetzt ist's da!" rief Frau Barbara. "Das also war es! Weiter, Alter!"
Er flüsterte ihr leise zu:
"Nun halte endlich den Schnabel, sonst bringst Du mich noch aus der Reihe!"
Und laut fuhr er fort:
  "Die Zwanzig braucht stets einen neuen Hut, [...]
Er hielt inne. Sein Blick war auf den Eingang gefallen. Dort stand Einer, der unbemerkt eingetreten war und ihm längst zugehört hatte.
"Hollah!" rief er. "Mit meinem Toast ist es aus! Was gehen mich die Weiber an! Sie mögen leben, wie sie wollen, dreimal hoch oder sechzig mal hoch, mit oder ohne Vivat! Dort steht Einer, den ich hoch leben lasse, und zwar tausendmal hoch, nämlich der Vetter Arndt! Schaut hin!"
[...]
Es wurden Toaste gebracht auf alles Nah- und Fernliegende, auf alles Mögliche und Unmögliche. Dabei erinnerte man sich auch an den unterbrochenen Toast des Försters. Der Lehrer meinte:
"Herr Förster, jetzt müssen Sie wieder anfangen!"
"Nein, nein!" meinte die Mutter des Bräutigams. "Er darf nicht; er hat uns getäuscht!"
"Wieso?" fragte Wunderlich.
"Sie wollten uns Frauen loben, aber Sie haben gerade das Gegentheil gethan!"
"Na, das war doch nur die Einleitung!"
"Wenn das die Einleitung ist, so danke ich. Wie soll es dann erst später werden!"
"Da bringe ich alle Tugenden der Frauen. Horcht nur!"
Er erhob sich und wollte declamiren.
"Nein," sagte auch Frau Barbara, "jetzt sind wir nicht mehr so allein wie vorher!"
"Aber," antwortete er eifrig, "schütte doch das Kind nicht mit dem Bade aus! Höre doch wenigstens wie der eine Vers lautet:
  "So Eine ist des Mannes größter Schatz, [...]
Ist das etwa auch getadelt?"
"Ja, nachdem Du Sechsundzwanzig getadelt hast, bringst Du endlich einmal Eine, über die Du etwas Gutes sagst."
"Nein, Alle bringe ich. Ihr kommt Alle daran. Ich habe einen Vers über jede Einzelne."
"Auch über mich?"
"Ja, freilich."
"Den möcht ich hören!"
"Na, gleich! Er lautet:
  Die Barbara wohnt auf der Försterei, [...]
Ist das nicht gut gesagt? Ist das nicht die reine Wahrheit?"
Alle lachten; sie auch mit; aber sie streckte doch beide Hände abwehrend gegen ihn aus und sagte:
"Wenn Du nichts Besseres von mir und von uns zu sagen hast, so schweige lieber! Wer hat denn das Gedicht gemacht?"
"Ich und der Herr Lehrer."[2]

aktuelle Ausgaben[Bearbeiten]

Aktuelle Ausgaben des Romans Der verlorne Sohn sind in der Bücherdatenbank zu finden:

Anmerkungen[Bearbeiten]

  1. Karl May: Der verlorne Sohn. In: Karl Mays Werke, S. 23777–23786 (vgl. KMW-II.19, S. 2845–2850).
  2. Karl May: Der verlorne Sohn. In: Karl Mays Werke, S. 23777–23786 (vgl. KMW-II.19, S. 2844–2851).

Weblinks[Bearbeiten]