Merasig

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Land der Merazig im 19. Jahrhundert

Merazig (arabisch: المرازيق, auch Merasig, Merazigues, Mrazig, Mraziq', Mrizig, M’Razigues transkribiert; Singular: Merzougui) ist der Name eines bis ins zwanzigste Jahrhundert nomadisch oder teilnomadisch lebenden, inzwischen sesshaften Stammes im Süden Tunesiens. Das von den Merazig bewohnte Gebiet liegt im Gouvernorat Kébili, zwischen dem Nordrand der Sahara und dem Südostrand des Chott el Djerid. Ihr Zentrum ist die Stadt Douz, die „Stadt der Merazig“, die fast ausschließlich von Stammesangehörigen bewohnt wird. In der räumlichen Aufteilung von Douz spiegelt sich die Unterteilung der Merazig in drei Fraktionen wider: Douz Chergui, Douz Gharbi und Aouina.

Der Name des Stammes geht auf die Wurzel R.Z.K in der Bedeutung „das tägliche Brot“ zurück, im erweiterten Sinne als „von Gott gesegnet“ zu verstehen.

Die Merazig sind aus dem Berbervolk der Arzuges hervorgegangen, das bereits unter dem römischen Kaiser Trajan im ersten Jahrhundert belegt ist. Die nach ihnen benannte Region Arzugitana grenzte an den Limes Tripolitanus, der vom Chott el Djerid aus in südöstlicher Richtung verlief, also an das vom Römischen Reich kontrollierte Gebiet Nordafrikas.

Im 11. Jahrhundert führte die große Invasion des Stammes Banū Hilāl mit 50.000 Kriegern von Osten her zur Arabisierung der Merazig.

Nach ihrer eigenen Tradition wurde der Stamm von Sidi Merzoug ben Abdallah (auch Baba Mourzouk genannt) gegründet. Sidi Merzoug soll im 17. Jahrhundert gelebt haben und ein Marabout aus dem Sudan gewesen sein; der erste Schwarzafrikaner, der nach Nordafrika gelangt und nach langen Wanderungen nahe dem Chott el Djerid gestorben ist.

Die ersten zuverlässigen Zeugnisse über die Merazig gibt es ab Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, nach der französischen Besetzung des nahen Algerien. Zu dieser Zeit waren sie einer von vier größeren Nomadenstämmen im Oasengebiet Nefzaoua. Neben ihnen werden die Ghrib und die Adhara genannt, ursprünglich ebenfalls Berber, sowie die Oulad Yacoub mit arabischen Wurzeln. Einige kleinere Stämme traten kaum selbständig auf, sondern als Anhang eines der größeren Stämme. Die Anzahl der Nomaden im Nefzaoua wurde auf 8.000 geschätzt, gegenüber rund 12.000 sesshaft lebenden Menschen. Insbesondere die Merazig, aber auch die Ghrib und Adhara werden durchgehend als sehr friedlich geschildert, im Gegensatz zu den Oulad Yacoub, die als räuberisch und für Reisende gefährlich galten.

Das nutzbare Land in der Nefzaoua war, soweit es nicht zu den Dörfern gehörte, zwischen den Nomadenstämmen aufgeteilt. Die Dörfer sind überall dort entstanden, wo ergiebige Quellen die Bewässerung für eine durchgehende Nutzung der Böden und somit eine Sesshaftigkeit der Bewohner ermöglichten. Im Land der Nomaden gab es dagegen nur wenige und vor allem wenig ergiebige Quellen. Wegen des überall in geringer Tiefe anstehenden Grundwassers und der gelegentlichen Niederschläge handelte es sich aber keineswegs um eine Wüste, sondern eine behutsame Nutzung als Weideland und sogar für den Ackerbau war möglich.

Die Merazig bewirtschafteten also ihr eigenes Land und weideten auch ihre Tiere auf eigenem Land. Dabei stellte die nomadische bzw. teilnomadische Lebensweise sicher, dass die Böden nicht übernutzt wurden, indem darauf geachtet wurde, erst nach drei Jahren an dieselbe Stelle zurückzukehren. Das Land der Merazig war Gemeinschaftseigentum und wurde zur Nutzung jedes Jahr neu unter den unterschiedlichen 'arûsh (größere Familienverbände, Einheiten innerhalb der oben genannten Fraktionen) aufgeteilt, um Qualitätsunterschiede des Landes im Laufe der Zeit auszugleichen.

Schon vor der Mitte des 19. Jahrhunderts hatte eine Entwicklung hin zur Sesshaftwerdung der Merazig begonnen, und sie verbrachten ungefähr das halbe Jahr, nämlich den Herbst und den Winter, in Douz.

Von den Stämmen der Nefzaoua waren die Merazig der bekannteste, da sie mit Handelskarawanen in großem Umkreis umherzogen. Sie gelangten bis zum Mittelmeerhafen Gabès im Osten (150 km von Douz entfernt), nach El-Oued im Westen (250 km), nach Ouargla im Südwesten (500 km), und sogar auf dem Markt von Ghadamès im Süden in 700 km Entfernung waren sie anzutreffen. Auf den Märkten dieser Städte boten sie Butter, Olivenöl, Datteln, Wolle und Wollstoffe, Zeltbahnen, Tellis (für die Region typische Stoffbeutel), Schafe, Kamele und Pferde an. Sie standen im Ruf, alle Wege der Sahara zu kennen. Da sie sich auf den meisten ihrer Wege im Gebiet der Tuareg befanden, zahlten sie diesen einen Tribut, um unbehelligt reisen zu können. Ansonsten konnten sie sich von fremden Zwängen weitgehend frei halten, und die formalen Herren in Tunesien, sei es der Bey von Tunis, sei es der Sultan in Stambul, hatten wenig Einfluss auf sie.

Das änderte sich langsam, als Frankreich 1881 Tunesien mit der Begründung eroberte, die Einfälle der Krumir nach Algerien unterbinden zu wollen. Frankreich machte Tunesien zum „Protektorat“. Während im Norden eine zivile Verwaltung eingesetzt wurde, wurde der Süden Militärgebiet („territoire de commandement militaire“). Nefzaoua, wo die Merazig lebten, gehörte zum Militärkreis Kébili („cercle militaire de Kébili“). Um die vollständige Kontrolle über Tunesien und seine Bevölkerung zu erlangen, war es im Interesse Frankreichs, die schon beginnende Sedentarisierung der Nomaden wie den Merazig zu fördern und zu beschleunigen. Die wesentliche Voraussetzung für die dauerhafte Niederlassung an einem festen Ort, die ausreichende Wasserversorgung, war aber noch nicht gegeben. Deswegen wurde der Bau neuer Brunnen in großem Umfang vorangetrieben; mit spürbarem Erfolg. Die unmittelbare Verbesserung ihrer Lebensbedingungen wurde von den Merazig dankbar angenommen und sie galten auf Jahrzehnte als treue Verbündete Frankreichs, die bis zu 1.000 Kämpfer stellen konnten.

Die Wehrpflicht in der französischen Armee führte aber —im Verbund mit anderen Gründen— auch zu steigender Unzufriedenheit. Im Jahr 1915, im Ersten Weltkrieg, gelang es dem Osmanischen Reich, den Senussi-Orden und über diesen die Tuareg zum Aufstand gegen Frankreich, den Kolonialherren und Kriegsgegner der Türkei zu bewegen. Dieser Aufstand wurde von den Merazig und einigen anderen Stämmen unterstützt, aber rasch niedergeschlagen.

Während des Zweiten Weltkriegs brach die Revolte der Merazig, die oft den Militärdienst desertierten, erneut aus. Diesmal war sie stärker und konnte nur mit großem militärischen Aufwand im Zaum gehalten werden, bis Frankreich Tunesien 1954 die Autonomie vertraglich zusicherte.

Die Unabhängigkeit Tunesiens zwei Jahre später brachte keine Veränderungen für die Stämme im Süden. Die Zentralregierung in Tunis setzte die französische Politik fort, mit der ihre Sesshaftwerdung und somit bessere Kontrollierbarkeit erreicht werden sollte.

bei Karl May[Bearbeiten]

Merasig
Elbsandsteingebirge.jpg

Orientzyklus
Der Krumir
Die Liebe des Ulanen

May verwendet den Namen des Stammes in drei seiner Werke, aber nur im „Orientzyklus“ gibt es zwei Figuren, die ihm angehören: Sadek und sein Sohn, Omar Ben Sadek.

Orientzyklus[Bearbeiten]

Die erste Erwähnung der Merasig durch May findet sich in der Anfang 1881 im Deutschen Hausschatz erschienen dritten Folge von „Giölgeda padishanün“. Hadschi Halef Omar, der Reisebegleiter Kara Ben Nemsis, bringt diesen zu seinem Freund Sadek, einem sehr bekannten Stammesmitglied der Merasig.

"Mein Bruder Sadek ist der berühmteste Führer über den Schott Dscherid; er hat noch niemals einen falschen Schritt getan. Er gehört zum Stamme der Merasig und ward geboren von seiner Mutter in Muï Hamed, lebt aber mit seinem Sohne, der ein wackerer Krieger ist, in Kris."[1]

Sadek wird auf dem Salz von Hamd el Amasat erschossen, sein Sohn Omar Ben Sadek rettet Kara Ben Nemsi und Halef. Dann verfolgt er den Mörder als Bluträcher. In Istanbul trifft er zufällig wieder auf Kara Ben Nemsi und Halef und beibt für den Rest der Reise bei ihnen. Der Name seines Stammes wird noch zweimal erwähnt, einmal in Istanbul:

Da hatte sich Omar erinnert, daß er ein Sohn der freien und tapfern Uëlad Merasig sei, und es war wie der Stolz und Mut eines Löwen über ihn gekommen.[2]

Karl May verwendet den Begriff Uëlad (arabisch: walad, "Kind", Mz. au'lad) nur einmal im Zusammenhang mit den Merasig, doch ist im Maghreb dies oder Beni (arabisch: ben, "Sohn") üblicherweise ein Bestandteil des vollständigen Stammes-Namens.

Im ersten Kapitel, „Abu En Nassr“, stützt May sich fast vollständig auf einen in der „Deutschen Rundschau für Geographie und Statistik“ erschienenen Aufsatz von Joseph Chavanne, „Das algerisch-tunesische Binnenmeer“ und die dazugehörige Karte.[3] Alle Routenpunkte und weitere geografische Namen stimmen einschließlich der Schreibweise mit dieser Karte überein. Hier fand May auch den Namen des Stammes der Merasig zusammen mit dem Hinweis, dass sie die berühmtesten Führer über den Schott seien.[4] Aus der Karte konnte er ihr Gebiet mit dem Ortsnamen Muï Hamed entnehmen.

Der Krumir[Bearbeiten]

Für die fast zeitgleich verfasste Erzählung „Der Krumir“ greift May erneut auf seine für den „Orientzyklus“ durchgeführten Recherchen und auf Chavanne zurück. Neben einer fast inhaltsgleichen Beschreibung des Schott Dscherid wiederholt er hier die Aussage, dass die Merasig die berühmtesten Führer über den Schott seien.
Außerdem beabsichtigt der Ich-Erzähler,[5] die Merasig zu besuchen, wozu es dann aber nicht mehr kommt.

Die Liebe des Ulanen[Bearbeiten]

In der drei Jahre später, Mitte 1884 erschienenen 33. Fortsetzung seines teilweise in Nordafrika spielenden Romans „Die Liebe des Ulanen“ verwendet May den Namen des Stammes ein letztes Mal. Hier erzählt Liama ihrem Geliebten Saadi, dass der Sohn eines Scheiks der Merasig um sie geworben habe.

Literatur[Bearbeiten]

  • Arnoulet, François: Les Tunisiens et la première guerre mondiale (1914 - 1918) In: Revue de l'Occident musulman et de la Méditerranée n°38, Presses universitaires de Provence, Aix en Provence/Marseille 1984, S. 47-61.
  • Bisson, Vincent: Dynamiques comparées de l'urbanisation en milieu tribal (Tunisie et Mauritanie). Université François Rabelais, Tours 2005.
  • Chérif, Mohamed Hédi: Les mouvements paysans dans la Tunisie du XIXe siècle In: Revue de l'Occident musulman et de la Méditerranée n°30, Presses universitaires de Provence, Aix en Provence/Marseille 1980, S. 21-55.
  • Duveyrier, Henri: La Tunisie Hachette & Cie., Paris 1881.
  • Idoux, Marius: Notes sur le Nefzaoua (Tunisie méridionale) In: Annales de Géographie, t. 11, n°60, Armand Colin, Paris 1902, S. 439-447
  • Louis, André: Le monde „berbère“ de l'extrême sud tunisien. In: Revue de l'Occident musulman et de la Méditerranée n°11, Presses universitaires de Provence, Aix en Provence/Marseille 1972, S. 107-125.
  • Mircher, Hippolyte: Mission de Ghadamès Typographie Duclaux, Alger 1863
  • Reclus, Élisée: Nouvelle géographie universelle. Bd. 11: L'Afrique septentrionale. Hachette et Cie., Paris 1886.
  • Trousset, Pol: Recherches sur le limes tripolitanus du Chott El-Djerid à la frontière tuniso-libyenne. Éditions du Centre National de la Recherche Scientifique, Paris 1974.
  • Zaccone, Pierre: Notes sur la Régence de Tunis Ch. Tanera, Paris 1875.

Anmerkungen[Bearbeiten]

  1. Karl May: Giölgeda padiśhanün. Reise-Erinnerungen aus dem Türkenreiche. In: Deutscher Hausschatz in Wort und Bild, 7. Jahrgang 1880/1881, Nr. 18, Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, S. 283
  2. Karl May: Von Bagdad nach Stambul. Band 3 der Gesammelten Reiseromane, 7. Kapitel, S. 535.
  3. Chavanne, Joseph: Das algerisch-tunesische Binnenmeer. In: Deutsche Rundschau für Geographie und Statistik. II. Jahrgang Heft 6, A. Hartleben, Wien/Pest/Leipzig 1880.
    Daraus entnommen die Karte Das Algerisch-Tunesische Schott-Becken nach Capt. Roudaire's Aufnahmen.
    Inventar-Nr. KK002a in Karl Mays Bibliothek.
  4. Die Stichhaltigkeit dieser Aussage darf angezweifelt werden. Chavanne hat den Schott nicht selbst überquert und seine Beschreibung weist in Inhalt und Wortwahl auffällige Übereinstimmungen mit Tissots Reisetagebuch aus dem Jahr 1857 auf (Tissot, Charles-Joseph: Notice sur le Chott El Djerid In: Bulletin de la Société de Géographie. Sixième Série - Tome Dix-Huitième, Ch. Delagrave, Paris 1879, S. 12-22.); und Tissot schreibt lediglich, dass er einen Führer vom Stamm der Merasig hatte.
  5. Der Name Kara Ben Nemsi wird hier nicht genannt, sondern erst in der Erzählung „Die Rose von Kaïrwan

Weblinks[Bearbeiten]