Marienkreuzdistel

Aus Karl-May-Wiki
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Die Marienkreuzdistel wird von Karl May erwähnt; allerdings ist nicht ganz klar, welche Pflanze gemeint ist.

May gibt in "Durch das Land der Skipetaren" ein Gespräch zwischen der Pflanzensammlerin Nebatja aus Ostromdscha und Kara Ben Nemsi wieder:

»[...] Auch gibt es Pflanzen, die man nur des Nachts suchen darf. [...] Wie es Pflanzen gibt, welche nur des Nachts duften, so gibt es überhaupt solche, die nur des Nachts wachen; am Tage aber schlafen sie. Und hier oben gibt es solche Nachtfreundinnen, bei denen ich dann sitze, um mit ihnen zu sprechen und auf ihre Antwort zu lauschen. In der letzten Zeit war mir das schwer gemacht. Heute aber hast Du meinen Feind entlarvt; er befindet sich in Gefangenschaft, und da bin ich nun gleich heraufgegangen, um mir um Mitternacht einen König zu holen.«
»Einen König? Ist das auch eine Pflanze?«
»Ja. Kennst Du sie nicht?«
»Nein.«
»Sie ist ein König, denn wenn sie stirbt, so stirbt das ganze Volk mit ihr.«
Ich hatte hier ein ganz eigenartig und tief angelegtes Frauengemüth vor mir. Dieses Weib mußte im Schweiß der Arbeit für ihre Familie sorgen und fand doch noch Zeit, des Nachts stundenlang mit den Pflanzen zu verkehren, mit ihnen zu sprechen und die Geheimnisse ihres Daseins zu erlauschen.
»Wie ist der Name dieser Pflanze?« fragte ich neugierig.
»Es ist die Hadsch Marrjam. Wie Schade, daß Du sie nicht kennst!«
»Ich kenne sie; aber ich habe nicht gewußt, daß sie einen König hat.«
»Nur wenige Menschen wissen es, und unter diesen Wenigen ist selten Einer so glücklich, einen König zu finden. Man muß die Hadsch Marrjam sehr lieb haben und ihre Art und Weise ganz genau kennen; dann findet man den König. Das Volk wächst gern auf unfruchtbaren Stellen, an Bergen, Felsenbrüchen und öden Halden. Es steht stets im Kreise, der oft klein, oft auch groß ist, und ganz genau im Mittelpunkt dieses Kreises steht der König.«
Das war mir freilich neu. Hadsch Marrjam heißt >Kreuz Mariens<, und ganz dieselbe Pflanze wächst auch in Deutschland und wird im Volk Marienkreuzdistel genannt. Wie sonderbar, daß der Name auf den Höhen des Erzgebirges gerade so lautet, wie am Babuna- oder Plaschkawitzagebirg in der Türkei!
Die Frau fuhr in ihrem Lieblingsthema fort:
»Diese Distel ist sehr dürr und spröd; sie wird nicht hoch und hat einen dünnen Stengel; aber der König ist breit und wird alle Jahre breiter. Sein Stengel ist so dünn, wie eine Messerklinge; aber er kann so breit wie zwei Hände werden und trägt oben einen langen, schmalen Distelkopf, auf dessen dunkeln Grund eine helle Zickzackschlange gezeichnet ist. Diese Schlange leuchtet des Nachts. [...] Ich habe es oft gesehen und werde es auch heute wieder sehen. Wenn man den Distelkönig fortnimmt, so gehen alle seine Unterthanen ein. Nach Verlauf eines Monates sind sie todt. Sonst aber werden sie sehr alt. Der König, welchen ich heute hole, ist wohl gegen zehn Jahre alt.«
»Aber wenn Du ihn holst, so geht ja sein Volk ein!«
»O nein! Es ist ein neuer, junger König gewachsen; da kann man den Alten fortnehmen. Das muß am Sonntag nach dem Neumond geschehen, am heiligen Tag der Christen, deren Himmelskönigin Marrjam ist. An diesem Tag leuchtet der König am schönsten; er leuchtet, selbst abgeschnitten, dann noch einige Nächte. Da hat er seine beste Kraft. Heute ist der erste Sonntag nach Neumond; darum hole ich mir den König in dieser Nacht. Wenn Du Zeit hättest, könntest Du ihn leuchten sehen.« [...]
»[...] Doch sage: welche Kraft schreibt man dem Distelkönig zu?«
»Die gewöhnliche Hadsch Marrjam heilt, als Thee getrunken, die Lungensucht, falls diese nicht gar zu alt geworden ist. Die Distel hat einen Stoff, welcher die winzig kleinen Krankheitsthiere tödtet, die sich in der Lunge befinden. Von dem König aber sagt man, daß er den Lungensüchtigen noch vom Grab wegnähme.«

Nach diesem Gespräch mit Nebatja ergänzt der Ich-Erzähler noch:

Übrigens ist der Distelkönig wirklich keine fabelhafte Pflanze. Ich habe zwischen Scheibenberg und Schwarzenberg im sächsischen Erzgebirge auf einer kahlen, abgeholzten Höhe ein Marienkreuz-Distelvolk gefunden und bin volle vier Tage dort geblieben, um nach dem König zu suchen.
Das Terrain, über welches sich die Disteln ausgebreitet hatten, bildete wirklich einen ziemlich regelrechten Kreis. Ich umwanderte den Umfang desselben und schritt dann verschiedene Radien nach der Mitte zu ab, doch lange ohne Erfolg. Endlich aber fand ich den Gesuchten an einem Punkt, an welchem ich oft vorüber gekommen war, ohne den König zu sehen, da er von einem Büschel dichten, dürren Schmeelgrases ganz umgeben war. Er rechtfertigte genau Nebatja's Beschreibung; ich schnitt ihn ab und besitze ihn noch heute. Als ich nach ungefähr vier Monaten wieder nach Annaberg kam, unternahm ich neugierig und trotz Mangel an Zeit die Fußpartie nach dem Fundort - die Unterthanen waren eingegangen.

Literatur[Bearbeiten]