Ich kam zu dir mit meinem Sonnenschein (Gedicht)

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Ich kam zu dir mit meinem Sonnenschein ist ein Gedicht von Karl May.

Text[Bearbeiten]

"Ich kam zu dir mit meinem Sonnenschein;
  Du aber wolltest mich und ihn nicht haben,
Du glaubtest ja, ein großer Geist zu sein,
  Und warfst um dich mit dieses Geistes Gaben.
Du hieltest für die Ewigkeit geschrieben,
  Was Menschenhand für Menschenaugen schreibt,
Und bist doch selbst ein Manuskript geblieben,
  Das ungedruckt im Kasten liegen bleibt!
Ich kam zu dir mit meinem Sonnenlicht;
  Du aber glaubtest, eignes Licht zu strahlen.
Es glimmte wohl, doch leuchtete es nicht,
  Und teuer war die Lampe zu bezahlen.
Du wolltest alle Welt im Nu entflammen
  Für dich und deine Thorenseligkeit;
Da aber fiel der Docht in sich zusammen,
  Und nun umfängt dich selbst die Dunkelheit!
Nun komme ich mit all dem Sonnenglanz,
  In dem vor ihrem Herrn die Geister beten.
Ich will zum allerletztenmal, doch ganz,
  In meiner Klarheit Fülle, zu dir treten,
Begreifst du nun auch jetzt das große Wunder,
  Das doch so einfach ist, noch immer nicht,
So gehst du wie der Docht im Lämpchen unter,
  Denn deinem Geist fehlt jede Spur von Licht!"[1]

Textgeschichte[Bearbeiten]

Das Gedicht ist in Karl Mays Reiseerzählung Im Reiche des silbernen Löwen IV (1903) enthalten, die zum Spätwerk des Schriftstellers gehört. Der Ich-Erzähler dichtet es als Antwort auf ein Gedicht des Ustad:

Jetzt stand er dort am Fenster, den Rücken mir zugekehrt. Er achtete nicht auf mich, war nur in sich versunken. Die letzte Seite seines "Leidensweges" war noch leer. Tinte und Feder gab es hier auf dem Tische. Wer war's, der in mir sprach? Der mir befahl, zu schreiben, was ich hörte? Ich that es! Ich hielt mich ganz an seine eigene Weise. Dasselbe Metrum und dieselbe Zahl der Verse. Drei Strophen, so wie er, genau auch so beginnend: "Ich kam – – –"; "Ich kam – – –", und dann: "Nun komme ich – – –"! Er sah nicht, daß ich schrieb. Ich wurde fertig, schloß das Buch und ging vom Tische weg.
[...]
"[...] Du sprichst von deiner 'Geisterhand'. Du sollst von mir erfahren, was du von dieser Hand zu hoffen hast! Da, schau!"
Ich schlug das letzte Blatt des Buches um und gab es ihm. Er sah die neuen Zeilen.
"Ein Gedicht!" sagte er.
"Meine Antwort auf das deinige," erklärte ich.
"Wann schriebst du es?"
"Als du am Fenster standest. Laß es mich hören, laut!" Er las:
  "Ich kam zu dir mit meinem Sonnenschein; [...]
Er hatte die Vorlesung in jenem hohen Tone begonnen, den, wie er glaubte, das Metrum mit sich brachte. Dieser Ton war laut und vorwurfsvoll. Aber schon nach den ersten Zeilen begann er zu sinken. Die Sätze folgten sich langsamer, weil der Gedanke sich sträubte, so schnell mitzukommen. Es traten sogar kurze Pausen ein. Das Gesicht des Ustad wurde ernster und immer ernster. Als er zu Ende war, las er das Gedicht noch einmal leise durch.
Nun war ich hochgespannt auf das, was er jetzt thun werde. Er sah mich gar nicht an. Er sagte nichts, kein Wort. Er drehte sich langsam um und ging wieder nach dem Fenster. Ich blieb stehen, still, erwartungsvoll. Still war es auch in meinem Innern. Kein Gedanke kam; kein Gefühl bewegte sich. Mein Herz klopfte. Ich hörte es. Gab es jemand in mir, der stumm betete?
Da verließ der Ustad das Fenster. Ist es möglich, daß sich ein Gesicht in so kurzer Zeit so sehr verändern kann? Das seinige war wie verklärt. Seine Augen strahlten. Er blieb vor mir stehen und riß das letzte Blatt langsam und sorgfältig, um es nicht zu verletzen, aus dem Manuskripte. Dann warf er das letztere weit hinter sich, so daß es an die Wand zu den alten Zeitungen zu liegen kam, [...][2]

aktuelle Ausgaben[Bearbeiten]

Aktuelle Ausgaben der Reiseerzählung Im Reiche des silbernen Löwen IV sind in der Bücherdatenbank zu finden.

Anmerkungen[Bearbeiten]

  1. Karl May: Im Reiche des silbernen Löwen IV. In: Karl Mays Werke, S. 65886 f. (vgl. KMW-V.4, S. 175).
  2. Karl May: Im Reiche des silbernen Löwen IV. In: Karl Mays Werke, S. 65879 f., 65886–65888. (vgl. KMW-V.4, S. 169 f., 174–176).

Weblinks[Bearbeiten]