Familie Leidholdt

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Richard Leidholdt (* um 1888; † ?) war ein Leipziger Realschüler und ein Leser, der zu Karl May in Kontakt getreten ist. Der Versicherungsagent Paul Leidholdt war Richards Vater, der sich auch brieflich an May gewandt hat.

Richard Leidholdt und Karl May[Bearbeiten]

Das Bäumchen[Bearbeiten]

Der erste Kontakt zwischen Richard Leidholdt und Karl May bestand vermutlich in einem Besuch des Schülers in Mays Villa "Shatterhand" in Radebeul im Sommer 1905. Der älteste bekannte Brief Karl Mays an Richard datiert auf August 1905. May rückte darin Ansichten des Schülers über seine Figuren Marah Durimeh und Ahriman Mirza gerade und warnte vor Gedankengängen, zu denen der junge Mann noch nicht reif genug sei:

Mein lieber, junger Freund, schießen Sie nicht so hoch über Ihre Kräfte empor, denn da brechen Sie ganz sicher unten ab! Wachsen Sie langsam und naturgemäß! [...] Und wenn Sie trotzdem glauben, in die Höhe zu müssen, so werden Sie vor allen Dingen erst unten stark und fest! Wer über Buddha reden will, der wagt sich geistig unendlich hoch hinaus; diese Höhe aber fordert unten ein gutes, ein sicheres materielles Fundament. Haben Sie das? [...] Das Leben ist kein Studentenulk mit Katerbummel! Nehmen Sie es ernst! Es gab Gymnasiasten, welche mit 17 Jahren zur Universität gingen; aus ihnen wurde etwas! Das Leben ist auch kein Indianerspiel. Meine Bücher sind nicht für leichtsinnige, sondern nur für ernste, fleißige Menschen geschrieben. [...] Sie nennen mich Ihren Lehrer. Bitte, machen Sie mir keine Schande, sondern Ehre! [...] Wer ernst und fleißig ist, kommt in der Heimath schneller und sicherer weiter [als wenn er zur Marine geht]. Wäre ich an Ihrer Stelle, ich wüßte, was ich würde! Rathen Sie, was ich meine, und schreiben Sie wieder einmal!

An Richards Vater Paul Leidholdt schickte Karl Mays Ehefrau Klara eine Abschrift des Briefes.[1]

Am 1. September antwortete Richard Leitholdt auf Karl Mays Schreiben:

Sie haben ganz recht, ich bin noch ein schwaches Stämmchen mit hochfahrenden Ansichten. [...] Den Plan, Seemann zu werden habe ich aufgegeben, denn alle, alle rieten mir davon ab. [...] Sie sagen, daß man in der Heimat besser fort könne, doch soll ich immer hier an das kalte, herzlose Abendland gefesselt sein, um die Jagd nach dem Geld mitzumachen? [...] Ich muß in der Welt herumkommen, sonst verkümmere ich wie eine Blume, der das Licht entzogen wird.[2]

Einen Tag später bedankte sein Vater sich bei Klara May für die Briefabschrift:

Ich hoffe, daß der treffende Vergleich mit dem dünnen Bäumchen ihn zum ersten Nachdenken gebracht hat.[3]

Karl May schrieb am 9. September einen weiteren Brief an den Schüler, in dem er ihn für seinen Verzicht auf den Seemannsberuf lobte und von seinen Eltern erzählte:

Meine Eltern waren bitterarm. Sie konnten äußerlich nur wenig für mich thun. Aber innerlich habe ich aus ihnen Schätze gegraben, von denen der Kindesundank gar keine Ahnung hat, und noch heut, wo ich 63 Jahre zähle, möchte ich sie, wenn es möglich wäre, mit den Fingernägeln aus der Erde graben, um ihnen nur noch einmal sagen zu können, daß sie mir noch heute himmelhoch über allen anderen Menschen stehen und daß ich mir sogar die ewige Seligkeit nicht anders denken kann, als nur mit ihnen vereint! [...] Ich bin sehr aufrichtig mit Ihnen. Wie Sie nicht hinaus auf See, sondern nur nachhause zu Ihren guten Eltern und Geschwistern passen, so gehören auch Ihre Gedanken nicht hinaus auf das für Ihr Gehirn so sehr gefährliche Meer der metaphysischen Spekulationen. Der Schiffbruch ist Ihnen sicher. [...] Aus der Dummheit führt kein schneller Sprung zur Klugheit hinüber. Das mag langsam und mit Fleiß erarbeitet sein. [...] Machen Sie Ihre Eltern glücklich.

Paul Leidholdt erhielt durch Klara May wiederum eine Abschrift.[4] Er dankte daraufhin Karl May für seine große Güte:

Wenn es ein Mittel giebt, meinen Jungen von seiner maßlosen Selbstüberhebung zu heilen, ihn wieder auf den festen Boden der nüchternen Lebensanschauung zurückzubringen und sein Pflichtgefühl zu wecken, so sind es Ihre Briefe [...][5]

Aber noch hatte Richard seine Ideen noch nicht aufgegeben. In seinem nächsten Brief vom 15. September fragte er Karl May:

Ist es denn wirklich Ihr Ernst, daß ich körperlich wie geistig daheim bleiben soll? Soll ich wirklich ein Schockmensch, ein Herdenmensch werden, der keine individuellen Gedanken und Anschauungen haben darf [...] Und ist denn die wahre Liebe zu den Eltern an den Raum gebunden?[6]

In der zweiten September-Hälfte etwa besuchte Richards Vater Paul Leidholdt Karl und Klara May in Radebeul.

Am 30. September sandte May seine Antwort an Richard:

Wissen Sie denn so ganz genau, daß Sie zu Höherem befähigt sind, als nur zum "Dutzendmenschen", wie Sie es nennen? Ich sage Ihnen, Tausende und Abertausende denken genau ebensohoch von sich und bringen es aber nicht einmal zum braven, ehrlichen Dutzendmenschen, den ich hundertmal höher achte als diese alle zusammen!

Auch von diesem Schreiben ging durch Klara May eine Kopie an den Vater des Schülers. In ihrem Begleitbrief begründet sie Mays Verhalten gegenüber Richard psychologisch.[7]

Zum Abitur und Studium[Bearbeiten]

Paul Leidholdt dankte Karl May am 10. Oktober für seinen Brief an Richard, in dem er über dessen Begeisterung für den Buddhismus berichtete und anfügte:

In seinem Wesen und Betragen ist er viel besser geworden und ich glaube, Ihre Briefe haben ihn zum Nachdenken über sich selbst veranlaßt und in ihm den Entschluß zur ernsten Arbeit bewirkt.[8]

Am 15. Oktober schrieb der Schüler selbst an May, dass er das Abitur machen und Philosophie studieren wolle:

Seitdem ich Ihren Brief empfing, hat es mir viele Kämpfe gekostet, meine früheren Ansichten zu begraben. [...] Ist das [nämlich das Philosophiestudium] der richtige Weg, um dann auf meinem eigenen, der Welt fremden Pfaden zu meinem Ziel, zu meinem Nirvana zu gelangen? [...] Ja, jetzt verstehe ich Sie, warum Sie den Orient so lieben.

Noch im Oktober antwortete May erfreut auf diesen Brief:

Sie haben nichts begraben. [...] Sie hatten gar keine Ansichten. Das was Sie mit diesen Worten bezeichnen, war vom Winde herübergetragene Spreu, deren Körner aber da liegen, wo Sie noch nie gewesen sein können, als damals, wo sie noch gar nichts von sich wußten. Nämlich Sie selbst sind auch so ein Samenkorn. Indem Sie glauben, Ihre Ansichten zu begraben, ging dieser Samen auf. [...] Jetzt freue ich mich über Sie. Ja, studiren Sie; holen Sie nach; das ist das Richtige! [...] Und denken Sie ja nicht mehr daran, zur "Nirwâna" gelangen zu wollen. Dieser Begriff konnte sich nur in Indien bilden, wo der Mensch nicht zu ringen braucht und ihm Alles derart zuwächst, daß er, sozusagen, von Luft und Licht zu leben vermag. Nirwâna ist darum auch nur ein Gebild aus Luft u[nd] Licht u[nd] wenn man daran verhungert u[nd] verdurstet, so nennt man das "Erlösung von der Existenz". [...] Ich sage Ihnen, mein lieber, junger Freund, der wirkliche, der wahre Buddha lebt in jeder Religion. Ein Deutscher wird ihn nicht in Indien und ein Inder nicht in Deutschland finden. [...] Glauben Sie mir: Die Ideale wachsen niemals auf fremdem, sondern stets nur auf heimischem Boden. Darum bitte ich Sie, diesen ja nicht zu verlassen.[9]

Am 22. Oktober sandte Richard Leidholdt an Karl May einen Antwortbrief, in dem es heißt:

Ja, ich werde nachholen u[nd] arbeiten mit allem Fleiße, um dann studieren zu können. Das verdanke ich Ihnen allein.[10]

Einen Weihnachtsgruß schrieb Richard am 23. Dezember 1905 an May:

Die Menschheit muß und wird erkennen, wie sie von Ihnen geliebt wird.[11]

Geänderte Pläne[Bearbeiten]

Richards Vater schrieb am 14. Januar 1906 einen Brief an May, in dem es überraschend heißt, dass Richard seit Weihnachten nicht mehr das Abitur machen, sondern Einjährig-Freiwilliger und danach Redakteur werden will. Paul Leidholdt bat May in diesem Schreiben, den Schüler zurück in geordnete Bahnen zu bringen.[12]

Bald darauf, am 23. Januar, "beichtete" Richard Leidholdt selbst Karl May, dass er eine Maschinen-Karriere zur See anstrebe und schon ein Jahr praktisch in einer Maschinenfabrik gearbeitet habe. Danach möchte er als Reiseschriftsteller tätig sein:

Ich laufe wohl Gefahr, meiner Aufgabe nicht gewachsen zu sein. Doch hierin gibt es für mich nur ein "Entweder – – – Oder". Ein Held oder ein Nichts, ein Mittelweg ist ausgeschlossen. [...] Nennen Sie mich, wie Sie wollen, nur nicht einen Feigling.[13]

Daraufhin war Karl Mays Geduld mit dem jungen Mann zu Ende. Am 28. Januar antwortete er auf dessen Schreiben:

Voraussichtlich ist dies der letzte Brief, den Sie bekommen. Und das thut mir nicht einmal weh, denn jede Berührung mit einer charakterlosen Qualle, die sich nur immer aufbläst, ohne aber eine Spur von festem Knochengerüst zu besitzen, stößt mich einfach ab.

Als vorbildhafte junge Männer berichtete May dann von Johannes März und Ferdinand Hannes und deren unterschiedliche Karrieren.

Auf solchem Streben ruht der Segen Gottes; aufgeblasene Frösche aber platzen! [...] "Ein Held oder Nichts" wollen Sie sein. Das ist geradezu verrückt! Was haben Sie denn bisher geleistet? Was können Sie? Nichts! [...] Glauben Sie doch nicht, daß ich Ihr X. für ein U. halte! Daß Sie sich auf dem Wege der Verlorenen befinden, habe ich schon längst gewußt, aber ich hoffte, daß Sie Ihren Eltern zuliebe umkehren u[nd] sich zusammenraffen würden. Aber es fehlt Ihnen das Gefühl der kindlichen Dankbarkeit und für die eigene innere Ehre! [...] Ein Feigling sind Sie, der sofort Reißaus nimmt, wenn ihm auch nur die allergeringste Pflicht zunahe kommt. [...] Sie brauchen mir nicht wieder zu schreiben; ich gebe Sie auf.[14]

Vermutlich hat Richard Leidholdt tatsächlich nicht mehr an Karl May geschrieben, überliefert sind zumindest keine weiteren Schreiben. Nur sein Vater Paul Leidholdt schrieb am 8. Februar 1906 noch einen (vermutlich letzten) Brief, der seine Resignation ausdrückt. Darin dankte er May für die aufgewandte Mühe:

Leider ist der Erfolg nur ein beschränkter gewesen.[15]

Weiteres über das Schicksal Richard Leidholdts ist nicht bekannt.

Anmerkungen[Bearbeiten]

  1. Sudhoff/Steinmetz: Karl-May-Chronik III, S. 531-533.
  2. Sudhoff/Steinmetz: Karl-May-Chronik III, S. 534.
  3. Sudhoff/Steinmetz: Karl-May-Chronik III, S. 535.
  4. Sudhoff/Steinmetz: Karl-May-Chronik III, S. 535-537.
  5. Sudhoff/Steinmetz: Karl-May-Chronik III, S. 537.
  6. Sudhoff/Steinmetz: Karl-May-Chronik III, S. 538.
  7. Sudhoff/Steinmetz: Karl-May-Chronik III, S. 546.
  8. Sudhoff/Steinmetz: Karl-May-Chronik III, S. 550.
  9. Sudhoff/Steinmetz: Karl-May-Chronik III, S. 552-555.
  10. Sudhoff/Steinmetz: Karl-May-Chronik III, S. 558.
  11. Sudhoff/Steinmetz: Karl-May-Chronik III, S. 572.
  12. Sudhoff/Steinmetz: Karl-May-Chronik IV, S. 8.
  13. Sudhoff/Steinmetz: Karl-May-Chronik IV, S. 11.
  14. Sudhoff/Steinmetz: Karl-May-Chronik II, S. 75; III, S. 488 f.; IV, S. 11 f.
  15. Sudhoff/Steinmetz: Karl-May-Chronik IV, S. 15.

Literatur[Bearbeiten]

Informationen über Zeitgenossen Karl Mays finden Sie im Namensverzeichnis Karl May – Personen in seinem Leben von Volker Griese unter Mitwirkung von Wolfgang Sämmer.