Ehrenbissen

Aus Karl-May-Wiki
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Der el Lukme esch Scharaf (= Ehrenbissen) ist eine besondere Auszeichnung während eines orientalischen Mahls, die man besser nicht zurückweisen sollte.

Der Ich-Erzähler berichtet in Der Schut (Hausschatz-Fassung):

Ich habe mit einem berühmten Scheik gespeist, welcher während des Essens sich einige allzu lebhafte Thierchen aus dem Nacken holte, sie vor Aller Augen zwischen den Nägeln seiner Daumen guillotinirte und dann mit den Händen, ohne sie vorher abzuwischen, in den Pillaw fuhr und von demselben eine Kugel rollte, um sie mir als 'el Lukme esch Scharaf' in den Mund zu schieben.
Wenige werden glauben, daß dies zwar ein kleines, aber dennoch lebensgefährliches Abenteuer gewesen sei. Die Zurückweisung dieses Ehrenbissens ist eine Beleidigung, welche in der Wüste nur mit dem Tod gesühnt werden kann. Ich hatte also eigentlich nur die Wahl zwischen einer Kugel oder einem Messerstich und dem Verspeisen dieser schrecklichen Reiskugel. Links von mir saß der Scheik, welcher mir den Bissen reichte und erwartete, daß ich den Mund aufsperre. Rechts saß Krüger-Bey, der bekannte Oberst der Leibschaaren des Herrschers von Tunis. Er - ein geborener Deutscher - hatte die Hinrichtung der kleinen Wesen ebenso bemerkt, wie ich. Er wußte genau, in welch großer Verlegenheit ich mich in diesem Augenblick befand, und in seinem Gesicht war die größte Spannung zu lesen, ob ich die Reis- oder die Bleikugel wählen werde. In solcher Lage gilt es, geistesgegenwärtig zu sein. Ich sagte im Ton größter Höflichkeit zu dem Scheik:
"Ma binsa dschamihlak kull umri - ich werde all mein Lebtage an Deine Güte gedenken."
Den Bissen aus seiner Hand nehmend, fuhr ich fort:
"Ridd inna'sar, ja m'allmi - entschuldige mich, o Herr!"
Und mich nun schnell rechts zu Krüger-Bey wendend, schloß ich:
"Dachihlal, ent kaïn haun el muhtaram - ich bitte Dich, hier bist Du der Ehrwürdige!"
Der brave Kommandant der Leibwache erschrack. Er ahnte meine Absicht und war so unvorsichtig, den Mund zu öffnen, um mir abwehrend zu antworten. Aber dieser eine Augenblick genügte mir. Ehe er ein Wort hervorbrachte, hatte er den Reiskloß im Mund und durfte ihn nicht wieder herausgeben.
Er war der Älteste. Daß ich ihm den Ehrenbissen gegeben hatte, war nun nicht eine Beleidigung, sondern ein allgemein sehr wohl aufgenommener Beweis, daß ich das Alter achte. Der arme Ehrwürdige machte freilich ein Gesicht, als hätte er den ganzen Jammer des Erdenlebens zwischen den Zähnen gehabt. Er drückte und drückte und schlang und schlang, bis er rothblau geworden und der Bissen hinunter war. Noch nach Jahren rühmte sich der Undankbare, daß er mir diesen Streich nicht vergessen habe.